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„Der deutsche Student kämpft gegen Schmutz und Schund“
Dieser Spruch befand sich auf dem Lastwagen, mit dem
Bücher am Abend des 10. Mai 1933 in Hannover zum Scheiterhaufen
am Bismarckdenkmal in den Maschwiesen gebracht wurden.
Nicht nur in Hannover, sondern in vielen Universitätsstädten
Deutschlands brannten die Scheiterhaufen. Es war der Abschluss
der „Aktion wider den undeutschen Geist“. Sie wurde organisiert
von der Leitung der „Deutsche Studentenschaft“ (DSt)
in Berlin. Deren Führer Gerhard Krüger und Hans Karl
Leistritz, Leiter des „Hauptamtes für Presse und Propaganda“
der DSt, entwarfen am 2. April 1933, einen Tag
nach dem Boykott jüdischer Geschäfte, einen detaillierten
Ablaufplan.
In Hannover traf die Vorbereitungen ein „Kampfausschuß der
Deutschen Studentenschaft zur Bekämpfung von Schmutz und
Schund“. Den Vorsitz führte der Student Wulf Hansen, Führer
der Studentenschaft der Tierärztlichen Hochschule (TiHo),
unterstützt von dem Privatdozenten Dr. Hellmut Doenecke
als Vertreter des „Kampfbundes für deutsche Kultur“ (TiHo).
Der Kunsthistoriker und Schriftsteller Prof. Victor Curt
Habicht, Dozent der Technischen Hochschule Hannover (TH)
und NSDAP-Mitglied, war der Dritte im Bunde.
Die meisten Studenten der beiden hannoverschen Hochschulen
gehörten damals Verbindungen an. Republikfeindlichkeit,
völkisches und reaktionäres Denken sowie Rassismus und Antisemitismus
waren darin weit verbreitet. Unter den Professoren
herrschte eine konservative, deutschnational politische
Grundhaltung, mit Reserviertheit gegenüber der Weimarer
Republik.
Bereits am 7. April 1933 wurde das „Gesetz zur Wiederherstellung
des Berufsbeamtentums“ erlassen. Per Rundschreiben vom 19.
April forderte die DSt die Einzelstudentenschaften dazu
auf, jüdische, kommunistisch orientierte oder den Nationalsozialismus
beschimpfende Hochschullehrer zu melden und ihre Vorlesungen
wirksam zu boykottieren. Durch einen Amnestieerlass des
preußischen Kultusministers Bernhard Rust (Studienrat aus
Hannover, NSDAP-Mitglied) bekam die Studentenschaft faktisch
freie Hand für Denunziation und Terror an den Hochschulen.
Ab Ende April 1933 versandte die DSt aus Berlin eine erste
„Schwarze Liste“ des „Ausschusses zur Neuordnung der Berliner
Stadt- und Volksbüchereien“ mit Büchern von 71 Autoren,
die aus Buchhandlungen, Bibliotheken und Leihbüchereien
ausgesondert werden sollten. Es betraf Bücher und
Schriften liberaler, jüdischer, marxistischer und pazifistischer
Autorinnen und Autoren. Selbst der eigene private Buchbestand
sollte „gesäubert“ werden.
Der Kampfausschuß in Hannover leitete die „Aktion wider
den undeutschen Geist“. Er organisierte die Einsammlung
der Bücher vom 2. - 9. Mai 1933 und die Verteilung der von
der Deutschen Studentenschaft erhaltenen „12 Thesen wider
den undeutschen Geist" (Redaktion Hans Karl Leistritz)
in Form von Flugblättern und Plakaten in der Stadt. Nach
dem Willen der DSt in Berlin sollte die gesamte Aktion auch
mit der Vertreibung missliebiger Professoren von den Hochschulen
einhergehen – wie bereits 1925, als ein in Hannover gegründeter
»Kampfausschuß gegen Lessing« forderte, den »mit deutschfeindlichen
Zeitungen schachernden Juden« Theodor Lessing als
»Schmutzfleck im Lehrkörper« der Technischen Hochschule
zu entlassen. Und darum ging es auch wieder im Mai 1933.
Lessing wurde schließlich im August 1933 gegen ein Kopfgeld
der SA in Marienbad ermordet.
In einem Rundschreiben der DSt aus Berlin hieß es: „Der
Staat ist erobert. Die Hochschule noch nicht! Die geistige
SA rückt ein.“
So durchsuchten auch in Hannover „Stoßtrupps“ private
und öffentliche Buchbestände nach missliebigen Büchern und
brachten ihre Beute zu Sammelstellen (Technische und Tierärztliche
Hochschule sowie Goethe- und Realgymnasium, Leibnizschule,
Humboldtschule und Werkkunstschule).
Wie so ein „Stoßtrupp“ vorging, wird durch einen Beschwerdebrief
der hannoverschen Geschäfts- stelle des Reichsverbandes
Deutscher Leihbüchereien vom 6. Mai 1933 deutlich. Der Geschäftsführer
teilte mit, dass der Kampf gegen undeutsche Literatur in
den Büchereien seit Monaten aufgenommen sei und viele Bücher
seien bereits entfernt worden. Er verwahrte sich daher dagegen,
dass bei hannoverschen Büchereien „ … 5 - 6 Herren zu gleicher
Zeit in den Hauptgeschäftsstunden den Laden betreten und
eigenmächtig eine Kontrolle des Büchereibestandes vornehmen,
ohne Rücksichtnahme auf die im Laden anwesenden Kunden.“
Der „Hannoversche Kurier“ veröffentlichte einen Tag vor
der Bücherverbrennung folgenden Aufruf unter der Überschrift
„Bücher auf dem Scheiterhaufen“:
„Die öffentliche Verbrennung des gesammelten Schund-
und Schmutzmaterials findet am 10. Mai um 21 Uhr an der
Bismarcksäule statt. Die studentischen Bünde marschieren
gemeinsam von der Herrenhäuser Allee ab durch die Königsworther
Straße, Goethestraße, Georgstraße, Hildesheimer Straße zur
Bismarcksäule. Wir bitten die gesamte Oeffentlichkeit, an
unserer Kundgebung teilzunehmen. Wer seine Bibliothek noch
nicht gesäubert hat, hat Gelegenheit, das Material am 10.
Mai während des Umzuges abzugeben in einem mitgeführten
Kraftwagen …“
Schauplatz für die Verbrennung war das Bismarckdenkmal,
an dem Verbindungen und anderen rechte studentische Gruppen
traditionell ihre nationalistischen Veranstaltungen seit
1904 durchführten.
Am Abend des 10. Mai ging der Zug von der Technischen
Hochschule (heute Leibniz Universität) durch die Stadt.
Mit Hakenkreuzfahnen, Korporationsfahnen, zum Teil in vollem
Wichs oder in SA-Uniformen zog man zum Bismarckdenkmal,
begleitet von einer SA-Kapelle sowie vom Akademischen Reit-Club
zu Pferde.
Die Versammelten reihten sich im Viereck um den Scheiterhaufen
auf, und während Doenecke (TiHo) und Prof. Habicht (TH)
„deutschen Geist und deutsches Wesen“ beschworen, wurden
die Bücher ins Feuer geworfen. Als Vertreter der Studenten
warf Wulf Hansen (TiHo) die Bücher von Karl Marx, Thomas
Mann, Emil Ludwig, Erich Maria Remarque und Kurt Tucholsky
persönlich in die Flammen und gab die Erklärung ab, dass
„undeutsche“ Professoren seitens der Studenten nicht geduldet
würden.
Der Leiter des „Kampfausschuß der Deutschen Studentenschaft
zur Bekämpfung von Schmutz und Schund“ Wulf Hansen
berichtete am 22. Mai 1933 stolz der Leitung der „Deutschen
Studentenschaft“ nach Berlin:
„… Die ganze Aktion ist in Hannover in vorbildlicher
Disciplin durchgeführt worden. Am 10. Mai wurde an der Bismarcksäule
das gesammelte Material unter riesiger Anteilnahme der Bevölkerung
verbrannt. Der Verbrennung ging ein Fackelzug voraus, an
dem sich neben den Korporationen verschiedene Jugendbünde
, SA Stürme und Schulen, die in die ganze Aktion mit eingespannt
waren, beteiligten. Die beigefügten Zeitungsausschnitte
mögen ein Bild davon geben, welchen Erfolg wir mit unserer
Aktion in Hannover gehabt haben.“
Das Bismarckdenkmal wurde während des Maschsee-Baues im
Mai 1935 entfernt. Nichts Materielles davon blieb erhalten.
Die Bücherverbrennungen waren ein massiver Schlag
gegen die künstlerische und geistige Freiheit in Deutschland
und sichtbarer Anfang der systematischen Verfolgung, Vertreibung
und Vernichtung all derer, die nicht zur sogenannten Volksgemeinschaft
gehören sollten oder wollten.
Die Bücherverbrennungen waren somit eine Vorstufe dessen,
was folgte. „Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher
verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“ Diese Worte
lässt Heinrich Heine seinen Hassan in der Tragödie "Almansor"
(1820) sagen. Diese sollten sich auf schlimme Weise bewahrheiten.
Sie bleiben eine immerwährende Mahnung.
Benutzte Quellen:
„Das
war ein Vorspiel nur … Bücherverbrennung Deutschland 1933,
Voraussetzungen und Folgen“, Katalog zur Ausstellung
der Akademie der Künste, Berlin 1983
Anke Dietzler: „Die
Bücherverbrennung in Hannover am 10. Mai 1933“ in: Hannoversche
Geschichtsblätter, Neue Folge Band 37, 1983, S. 100 - 121
Michael Schimanski: „Die
Tierärztliche Hochschule Hannover im Nationalsozialismus“,
Dissertation, Hannover 1997
Annette Schröder: „Vom
Nationalismus zum Nationalsozialismus, Die
Studenten
der
Technischen
Hochschule
Hannover
von
1925
bis
1938“,
Hahnsche Buchhandlung 2003
Anke Dietzler: „Hannover, 10. Mai 1933 an der Bismarcksäule
in den Maschwiesen“ in: „Orte
der Bücherverbrennungen in Deutschland 1933“, Julius
H. Schoeps. Werner Treß (Hrsg.).
Hildesheim 2008, S. 458-476
Werner Treß: „Phasen
und Akteure der Bücherverbrennung in Deutschland 1933“
in: J. H. Schoeps & W. Treß (Hrsg.), “ Orte der Bücherverbrennungen
in Deutschland 1933“,
Olms Verlag Hildesheim 2008, S. 9-27
„Eliten
und Untertanen“,
AStA Leibniz Universität Hannover 2009, Mitarbeit
Felix Schürmann.
„Verfemt
und Verboten. Vorgeschichte und Folgen der Bücherverbrennungen
1933“
Julius H. Schoeps, Werner Treß (Hrsg.), Olms Verlag Hildesheim
2010, 467 S.
Jan Drewitz: „Der
10. Mai 1933 - Wie vor 77 Jahren deutsche Studierende fast
im Alleingang die Bücherverbrennungen organisierten“,
ASTA Leibniz Universität 2010,
kontrast-blog.de
Dauerausstellung zur Stadtgeschichte, „Nationalsozialistische
Diktatur“,
Historisches Museum, Hannover 2013
Wikipedia:
Bücherverbrennung 1933 in Deutschland,
Bücherverbrennung in Hannover
Bismarckdenkmal Hannover:
Geschichte und Abbildungen
Zusammenstellung: „Projekt Erinnerungskultur am Maschsee“
und zugleich Organisatoren der Unterschriftensammlung
für eine Gedenktafel zur Bücherverbrennung in Hannover am
10. Mai 1933 an der Geibel-Bastion
© Reinhard Leicht
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